Seit einer Woche trainieren die zwölf Bundeskader des WSC Rostock wieder in der Neptunschwimmhalle – unter strengen Auflagen. Jetzt müssen die Athleten beim Besteigen des Sprungturmes Handschuhe tragen.

Es ist kurz vor 8 Uhr, als Jette Müller die kleine Turnhalle in der Neptunschwimmhalle betritt. Mit einem freundlichen „Hallo“ begrüßt die 16-Jährige ihren Trainer Michail Sachiasvili sowie ihre Teamkollegen Anna Shyrykhay, Thalea Paschel und Espen Prenzyna. Das Desinfektionsmittel steht schon bereit. Jette Müller nimmt die Flasche, sprüht sich das Mittel in die Handfläche und verreibt es. Das tägliche Prozedere ist schnell zur Gewohnheit geworden. Sprühstöße zum Schutz vor dem Coronavirus.

„Lieber so, als wenn wir gar nicht trainieren können“, sagt Jette Müller. Seit einer Woche dürfen die Wasserspringer des WSC Rostock wieder in der Neptunschwimmhalle trainieren – zumindest die zwölf Bundeskader. Die Auflagen sind streng. Um die Abstandsregeln einzuhalten, ist Training nur in kleinen Gruppen möglich. Die Sportler müssen Hände und Geräte desinfizieren. Training ist nur wochentags möglich. Am Sonnabend stand zur Abwechslung Tennis in Warnemünde auf dem Programm. Eingeladen hatte Falk Hoffmann (67), 1980 Olympiasieger vom Turm. „Ich habe zum ersten Mal gespielt. Das war ein Erlebnis“, schwärmt Jette Müller.

Seit Montag müssen die Athleten beim Besteigen des Sprungturmes Handschuhe tragen. „Jeder Sportler macht im Training achtzig bis hundert Sprünge. Wir brauchen pro Training vierhundert Paar Handschuhe“, rechnet Michail Sachiasvili vor. Der Bundesstützpunkttrainer betreut acht Athleten. Wenke Warninck hat vier Sportler unter ihren Fittichen.

Jette Müller ist aktuell die Nummer 1 des WSC. Bei den Hallenmeisterschaften Mitte Februar in Rostock war sie drauf und dran, die zweimalige Europameisterin Tina Punzel (25, Dresden) zu schlagen. Die Lokalmatadorin lag vor dem letzten Durchgang in Führung, brachte aber den zweieinhalbfachen Salto vorwärts mit einer Schraube gehechtet nicht sauber ins Wasser. Ein Patzer beim Anlauf kostete Gold. „Aus Fehlern lernt man. Das ist nicht schlimm“, meinte Sachiasvili. Sein Schützling schöpfte aus dem Gewinn von Silber Zuversicht: „Es hat gezeigt, dass ich es schaffen kann, vor Tina zu sein.“

Jette Müller liebäugelt mit einem Start bei den Olympischen Spielen. „Das ist der Traum eines jeden Sportlers.“ Das Fernziel war Paris 2024. Doch inzwischen ist die sechsfache Jugendmeisterin eine Kandidatin für Tokio 2021. Die Verlegung der Sommerspiele erhöht die Chancen der Rostockerin. „Ich habe jetzt ein Jahr länger Zeit, um den einen oder anderen Sprung besser zu machen.“

Bei der Jugend-EM im vergangenen Jahr im russischen Kasan fiel Jette Müller nach einem verkorksten Anlauf ins Wasser. Dadurch fehlt ihr die nötige Sicherheit. Im Training arbeitet sie hart – und findet langsam zu gewohnter Lockerheit zurück.

Wie in anderen Sportarten wurden auch im Wasserspringen bis auf Weiteres Wettkämpfe abgesagt. Besonders bitter ist das für Anna Shyrykhay, mit 20 die erfahrenste im WSC-Aufgebot. Dem Sport zuliebe hat die Rostockerin ihr Studium für Soziologie zurückgestellt. Nun fallen sämtliche Titelkämpfe ins Wasser. Trainer Sachiasvili macht seinen Schützlingen Mut: „Irgendwann gibt es wieder Wettkämpfe. Dann musst du bereit sein.“ Vor den Sommerferien soll eine nationale Wettkampfserie für Abwechslung sorgen. „Damit die Sportler eine Motivation haben.“

Jette Müller darf noch auf einen internationalen Höhepunkt hoffen: die Jugend-Weltmeisterschaften Ende November, Anfang Dezember in Kiew. „Es wäre schade, wenn auch die JMW ausfallen würden. Man darf ja nicht ewig in der Jugend starten“, meint Jette Müller. „Aber besser, als wenn alle krank werden“, fügt die Zehntklässlerin vom Christophorus-Gymnasium hinzu.

Zur Schule darf sie noch nicht. Anstehende Aufgaben löst sie im Homeoffice. Das Training in der Neptun-Schwimmhalle ist ein erster Schritt zurück zur Normalität. „Es war schön, alle wiederzusehen, aber wir waren ja auch vorher in Kontakt“, erzählt Jette Müller, die sich in der Corona-Pause mit Laufen und Radfahren fit hielt. Coach Sachiasvili schickte seinen Schützlingen per WhatsApp Übungen für zu Hause.

Es ist 9.30 Uhr. Das Training in der Turnhalle ist beendet. Die Sportler machen sich auf den Weg zu den Umkleideräumen. Sie ziehen sich um und gehen in die 25-Meter-Halle. Das Desinfektionsmittel steht schon bereit.