Dortmund/Rostock

Aus dem Vollgas-Modus auf null: Hannes Ocik hat in der Zeit des Corona-Lockdowns eine neue Erfahrung machen müssen. „Seit ich Leistungssport betreibe, hat es keine einzige Saison gegeben, in der alle Rennen abgesagt wurden“, berichtet der seit Montag vergangener Woche 29 Jahre alte Ruder-Weltmeister.

Wie überall wurde auch bei den Ruderern im März der Stecker gezogen. „Wir waren in der heißen Phase der Olympia-Vorbereitung, haben mehr als 30 Stunden pro Woche trainiert. Und dann war plötzlich nichts mehr.“ Gemeinsames Training unmöglich. Alle Weltcup-Regatten für 2020 abgesagt. Die Olympischen Sommerspiele um ein Jahr verschoben.

„Es war für alle problematisch. Seit Jahren hatten wir einen festen Rhythmus, klare Strukturen. Für mich war es hart, dass plötzlich alle Ziele weg waren“, erzählt der Polizist. „Ich habe viel Zeit gehabt. Zeit, um über mich und meine Sport-Karriere nachzudenken.“ Auch die Frage nach dem Sinn kam hoch: „In der Vergangenheit war ich immer voll auf Wettkämpfe und Erfolge konzentriert. Jetzt, wo alles ruhiger war, habe ich gemerkt, wie sehr ich den Sport liebe. Auf dem Wasser zu sein, die Natur hautnah zu genießen – ich kann wieder mehr genießen, was ich mache.“

Doch Ocik wäre nicht er selbst, wenn er sich keine sportlichen Ziele stecken würde. „Dass die Spiele in Tokio verschoben wurden, war für mich zuerst ein Tiefschlag. Ich habe mich aber schnell gesammelt und entschieden, dass ich so kurz vor der Ziellinie nicht aufhöre.“ Der Ausnahmesportler, der 2016 bei den Spielen in Rio Silber holte, hat sein großes Ziel noch vor Augen. Den Traum vom Olympia-Gold will er sich unbedingt erfüllen.

Nach vielen Wochen, in denen die Recken nur daheim auf dem Balkon oder im Wohnzimmer auf dem Ergometer ruderten, sind sie nun alle zurück am Olympiastützpunkt in Dortmund. Die harten Beschränkungen wurden schrittweise gelockert. „Wir dürfen seit vergangener Woche wieder im Großboot rudern, teilen uns eine Umkleide und die Duschen sind wieder auf“, beschreibt der dreimalige Weltmeister.

So ganz zurück in der Normalität sind die Ruderer aber noch nicht: Steuermann Martin Sauer darf nur mit Mundschutz aufs Wasser.

Bundestrainer Uwe Bender ist dennoch froh: „Es ist absolut wichtig für uns, dass wir wieder einen relativ normalen Sportbetrieb durchführen können und beim Training andere Möglichkeiten als bislang haben.“ Das Team des Deutschland-Achters trainiert ab sofort für die EM. Sie wurde von Juli auf den Frühherbst verschoben und findet vom 9. bis 11. Oktober in Poznan (Polen) statt.

Für Ocik, der seine Fitness und Ausdauer während der Corona-Pause mit individuellem Training verbessert und zudem mentale Stärke getankt hat, ist sie Etappenziel. „Wir können unsere Vorbereitung nun genau planen.“ Bis Ende Juli läuft der Formaufbau. Danach dürfen die Sportler zwei Wochen Urlaub machen. „Meine Freundin und ich haben über Schweden gesprochen. Wenn das nicht klappen sollte, ist es an der Ostsee in Mecklenburg-Vorpommern auch schön. Ich konnte im letzten Jahr nicht so oft zu Hause sein“, bedauert Ocik, der in der Rostocker Altstadt wohnt.

Nach der EM – Deutschland ist seit 2010 acht Mal gestartet und hat acht Mal gewonnen – geht es auf ein Neues in Richtung Olympia. Ocik ist überaus zuversichtlich: „Die Wahrscheinlichkeit, mit diesem Achter-Team erfolgreich zu rudern, ist sehr, sehr groß.“